Prof. Dr. Peter Kruse ist einer der spannendsten Vordenker zu Organisations- und Führungsfragen. Kein anderer Wissenschaftler den ich kenne äußert sich ähnlich eloquent und prägnant zu Themen wie Komplexität, Systemtheorie, Organisation, Führung und Management.
Kürzlich hat er mit seinem Unternehmen ein neues Forschungsprojekt zum Thema "Führung 2.0" gestartet. Mit Hilfe einer großen Anzahl qualitativer Interviews versucht er Trends und vor allem "Wertemuster" heraus zu finden, die Menschen in Organisationen heutzutage prägen. Die Zwischenergebnisse, die er in folgendem Video skizziert, sind überaus spannend.


Einige Kernaussagen des Videomitschnitts mit Prof. Kruse sind:

  • Komplexitätsfalle: Die informationelle Vernetzung (insbesondere das Internet) hat die Vernetzungsdichte in der Welt explosionsartig ansteigen lassen. Dies hat dazu geführt, dass lineare, kontinuierliche Entwicklungen größtenteils der Vergangenheit angehören. Dies stellt Führungskräfte, welche den kurzfristigen Erfolg und die langfristige Überlebensfähigkeit von Unternehmen sichern sollen, vor bislang unbekannte Herausforderungen.
  • Mehrwert von Führung: Wir müssen uns vermehrt mit der Frage auseinander setzen, welchen Mehrwert Führung heutzutage schaffen kann? Denn Führungskräfte, die noch bis vor wenigen Jahren über klare Ziele und Vorgaben Orientierung und Stabilität gegeben haben, stehen heute vor dem Dilemma, dass sie keine stabilen Grundlagen für Entscheidungen mehr zur Verfügung haben. Damit einher geht eine Verschiebung von bisher notwendigem Verfügungswissen hin zu Orientierungswissen (vgl. Prof. Hans-Peter Dürr).
  • Enterprise 2.0: Eine der logischen Konsequenzen in einer vernetzten Welt ist, dass sich auch Unternehmen und die einzelnen Organisationsmitglieder stärker miteinander vernetzen müssen. Der kompetente und geführte Einsatz neuer Technologien zur Kommunikation, Koordination und Kollaboration wird zur Schlüsselkompetenz. Dies führt u.a. auch dazu, dass Organisationsgrenzen unklarer werden und Identitätskerne "abschmelzen", wie es Prof. Kruse formuliert.
  • Paradigmenwechsel in der Führung: Auch wenn sich abzeichnet, dass Organisation in der "neuen, komplexen, vernetzten Welt" mit dem Führungsparadigma des 20. Jahrhunderts nicht mehr ausreichend schnell auf Umfeldveränderung reagieren können, zeigt sich bei den Menschen eine "Spaltung", welcher Weg eingeschlagen werden sollte. Ca. die eine Hälfte plädiert für eine Aufrechterhaltung des bisherigen Paradigmas (Hierarchie, Top-Down, Management by Objectives etc.), die andere Hälfte fordert einen Paradigmenwandel (Heterarchie, Bottom-Up, Sinnkopplung etc.).

Führung 1.0 oder Führung 2.0?

Unsere Überzeugung ist, dass wir das Problem mit einer "entweder-oder-Haltung" nicht lösen werden. Es wird in näherer Zukunft - sprich in den kommenden 5-10 Jahren - beide Führungsparadigmen brauchen. Es braucht gutes und richtiges Management im klassischen Sinne aber auch systemische Führung im Sinne eines dienenden und moderierenden Rollenverständnisses.
Denn einerseits lassen sich in Organisationen nicht alle Probleme durch kooperatives Denken und Handeln lösen. Und andererseits dürfen wir nicht vernachlässigen, dass viele (die meisten?) Menschen noch nicht in der "neuen Welt" angekommen sind.
Eines muss aber klar sein: Führung muss immer so angelegt sein, dass die Würde der Menschen gewahrt bleibt und gleichzeitig versucht wird, die menschlichen Potenziale kontinuierlich zu erkennen, zu fördern und zur Entfaltung zu bringen.