Komplexität reduzieren?

Neulich hat Dagmar Terbeznik auf Twitter mit diesem Tweet eine rege Diskussion angestoßen:

https://twitter.com/CoachBerlin/status/1333674565986381824

Begriffsklarheit

Unter anderem wurde auch unser systemtheoretischer Mentor und Begleiter, Dr. Gerhard Wohland, eingeladen, sich in die Diskussion einzuklinken. Gerhard hat mich dann gebeten, in seinem Namen folgende Begriffsklärung zu veröffentlichen:

  • Ein System ist KOMPLIZIERT, wenn jede Folgeoperation zwingend oder zufällig (Zufall des Würfels) ist.
  • Ein System ist KOMPLEX, wenn jede Folgeoperation aus mehreren Möglichkeiten ausgewählt werden musste und auch anders hätte gewählt werden können. Die Auswahl ist immer eine Überraschung.
  • Ein System ist also komplex oder nicht. Ein „bisschen komplex“ geht nicht.
  • Allerdings kann die Menge der möglichen Folgeoperationen variieren (mindestens 2). In diesem Sinne kann ein komplexes System mehr oder weniger komplex sein.
  • Nur wenn in einem System weniger passieren kann als in seiner Umgebung, unterscheidet es sich von dieser. 
  • Ein System gewinnt diese reduzierte Komplexität durch die Unterscheidung von wichtig und unwichtig - also durch Ignoranz.

Diskussion

Auf dieser Grundlage möchte ich einige Diskussionsbeiträge kurz kommentieren:

Grundsätzlich stimme ich meinem Kollegen Heiko zu: "Komplexität ist". Ich würde allerdings ergänzen: Komplexität ist größer oder kleiner (auch im Sinne Ashby's "variety"). Handhabbar wird Komplexität durch Ignoranz.

Die Formulierung "selbst gebastelte Komplexität" würde ich eher nicht unterstützen. Vielleicht meint Mark die Unterscheidung zwischen der tatsächlichen und der wahrgenommenen bzw. zugelassenen Komplexität (siehe "Ignoranz")?

Interessant ist, dass Komplexität offensichtlich von vielen - wie am Beispiel des Tweets von Kai-Marian Pukall - aus der Perspektive "Mensch" betrachtet wird. Viel spannender und auch erkenntnisreicher finde ich, sich mit der Perspektive "System" auseinander zu setzen.

Wie kann man z.B. Unternehmen strukturell steuern, gestalten und entwickeln, damit sie dynamikrobuste Strukturen ausbilden können, in denen Menschen und Teams ihre Kreativität und ihr Talent zur Lösung der komplexen Problemanteile bestmöglich zur Entfaltung bringen können?

Dieses Argument wird gerade von Berater/innen sehr gerne verwendet: Komplexität kann bzw. sollte man nicht reduzieren. Dem würde ich entgegnen: Komplexität MUSS man IMMER reduzieren bzw. größtenteils ignorieren. Denn in hoher Komplexität wird man permanent überrascht - vor und nach Entscheidungen.+

Fazit

Wissenschaftlich ist das Thema geklärt. Ich denke, wir sollten demnächst (sprich noch vor Weihnachten) mal eine kleine Online-Denkwerkstatt zu dem Thema mit Gerhard Wohland machen.

Wer hat Interesse? Dann schreibst mir bitte eine kurze e-Mail.