Dezember 5, 2020No Comments

Kompliziert vs. komplex: Eine Begriffsklärung von und mit Dr. Gerhard Wohland

Komplexität reduzieren?

Neulich hat Dagmar Terbeznik auf Twitter mit diesem Tweet eine rege Diskussion angestoßen:

https://twitter.com/CoachBerlin/status/1333674565986381824

Begriffsklarheit

Unter anderem wurde auch unser systemtheoretischer Mentor und Begleiter, Dr. Gerhard Wohland, eingeladen, sich in die Diskussion einzuklinken. Gerhard hat mich dann gebeten, in seinem Namen folgende Begriffsklärung zu veröffentlichen:

  • Ein System ist KOMPLIZIERT, wenn jede Folgeoperation zwingend oder zufällig (Zufall des Würfels) ist.
  • Ein System ist KOMPLEX, wenn jede Folgeoperation aus mehreren Möglichkeiten ausgewählt werden musste und auch anders hätte gewählt werden können. Die Auswahl ist immer eine Überraschung.
  • Ein System ist also komplex oder nicht. Ein „bisschen komplex“ geht nicht.
  • Allerdings kann die Menge der möglichen Folgeoperationen variieren (mindestens 2). In diesem Sinne kann ein komplexes System mehr oder weniger komplex sein.
  • Nur wenn in einem System weniger passieren kann als in seiner Umgebung, unterscheidet es sich von dieser. 
  • Ein System gewinnt diese reduzierte Komplexität durch die Unterscheidung von wichtig und unwichtig - also durch Ignoranz.

Diskussion

Auf dieser Grundlage möchte ich einige Diskussionsbeiträge kurz kommentieren:

Grundsätzlich stimme ich meinem Kollegen Heiko zu: "Komplexität ist". Ich würde allerdings ergänzen: Komplexität ist größer oder kleiner (auch im Sinne Ashby's "variety"). Handhabbar wird Komplexität durch Ignoranz.

Die Formulierung "selbst gebastelte Komplexität" würde ich eher nicht unterstützen. Vielleicht meint Mark die Unterscheidung zwischen der tatsächlichen und der wahrgenommenen bzw. zugelassenen Komplexität (siehe "Ignoranz")?

Interessant ist, dass Komplexität offensichtlich von vielen - wie am Beispiel des Tweets von Kai-Marian Pukall - aus der Perspektive "Mensch" betrachtet wird. Viel spannender und auch erkenntnisreicher finde ich, sich mit der Perspektive "System" auseinander zu setzen.

Wie kann man z.B. Unternehmen strukturell steuern, gestalten und entwickeln, damit sie dynamikrobuste Strukturen ausbilden können, in denen Menschen und Teams ihre Kreativität und ihr Talent zur Lösung der komplexen Problemanteile bestmöglich zur Entfaltung bringen können?

Dieses Argument wird gerade von Berater/innen sehr gerne verwendet: Komplexität kann bzw. sollte man nicht reduzieren. Dem würde ich entgegnen: Komplexität MUSS man IMMER reduzieren bzw. größtenteils ignorieren. Denn in hoher Komplexität wird man permanent überrascht - vor und nach Entscheidungen.+

Fazit

Wissenschaftlich ist das Thema geklärt. Ich denke, wir sollten demnächst (sprich noch vor Weihnachten) mal eine kleine Online-Denkwerkstatt zu dem Thema mit Gerhard Wohland machen.

Wer hat Interesse? Dann schreibst mir bitte eine kurze e-Mail.

März 4, 2020No Comments

Gute Geschäfte. Good Business.

Eine der Schlüsselfragen der Philosophie ist die Frage nach dem guten Leben. Entsprechend sollte die handlungsleitende Frage in der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts jene nach dem guten Geschäft sein. Ein romantischer Gedanke?

Wirtschaft neu denken.

Auszug aus dem Buch "Quantenwirtschaft" des Wirtschaftsphilosophen Anders Indset:

Wir benötigen eine echte Aufklärung, eine Renaissance der Denker. Aber um Gesellschaft weiterzuentwickeln, braucht es zudem eine ökonomische Motivation, einen neuen Fortschrittsmotor.

Dieser Gedanke hat's in sich. Warum?

  • Wir müssen Wirtschaft völlig neu denken. Aber wirklich.
  • Wirtschaft ist der Schlüssel, um Gesellschaft zukunftsfähig zu gestalten.
  • Profitstreben und ökonomische Motivation ist nicht per se etwas Schlechtes.
  • Wirtschaft ist und bleibt der Fortschrittsmotor. Die große Frage ist, wie diese unbändige Kraft für wirklich nachhaltige Lösungen eingesetzt - fast schon instrumentalisiert - werden kann?

Soweit so gut. Warum haben wir aber trotzdem den Eindruck, dass uns das nicht so richtig gelingt? Überhaupt nicht. Der Grund liegt in unserer humanistischen Prägung. "Was?", werden Sie jetzt vielleicht denken. Ja.
Wir verwechseln Wirtschaft (= Sozialsystem) permanent mit Menschen (= bio-psychologische Systeme). Wir glauben, dass das Verhalten der Wirtschaft etwas mit Moral zu tun hätte. Hat es aber nicht. Wirtschaft ist moralisch dicht. Nur Menschen können Moral empfinden und moralisch handeln - die Wirtschaft kann es nicht. Sehr wohl aber können Menschen, die ihre Werte leben, wirtschaftliche Realitäten verändern. Das sind dann echte Unternehmerpersönlichkeiten, denen andere Menschen folgen (wollen).
Der eigentliche Hebel zu einer besseren (Wirtschaft)Welt sind harte Gesetze, Normen und Regeln, die menschliches Verhalten regulieren, beschränken und in gewissen Kontexten sogar determinieren. Nur so kommen wir zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft. Spätestens jetzt sollte alle Romantik verflogen sein. 😉
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin ein strikter Gegner von zu starker politischer Einflussnahme in unternehmerisches Wirken. Dort, wo Wirtschaft aber reguliert werden muss, muss die Einflussnahme umso intelligenter, klarer und wirkungsvoller sein. Die DSGVO ist ein aktuelles Musterbeispiel, wie es nicht geht. Katastrophal.
These 1: Es braucht harte strukturelle und regulatorische Maßnahmen, um zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen und guten Wirtschaft zu kommen.

Verantwortungsvolles Unternehmertum.

Bereits im 12. Jahrhundert wurde in Europa nachweislich das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns in Kaufmannshandbüchern gelehrt. Leider haben wir diesen Gedanken und die damit verbundenen Prinzipien in vielen Bereichen verloren. Im Kern ist damit verantwortungsvolles Handeln der Teilnehmer/innen des Wirtschaftssystems gemeint. Ein Plädoyer, nicht nur für den Fortbestand und die Entwicklung des Unternehmens im engeren Sinne Verantwortung zu übernehmen, sondern auch für die Mitarbeiter/innen, Kunden, Lieferanten und sogar Wettbewerber sowie die Gesellschaft und Umwelt im größeren Sinne.
Da steckt alles drinnen. Wir müssen diese Wirtschaftsphilosophie nur wieder bewusst machen, tief verinnerlichen und unser Handeln und Entscheiden danach ausrichten.
These 2: Menschen, die in der Wirtschaft verantwortungsvoll und mit Weitblick handeln und entscheiden, können einen Unterschied machen. Immer.

Gute Geschäfte aufbauen und entwickeln.

Abschließend möchte ich noch fünf Schritte skizzieren, wie ein/e verantwortungsbewusste/r Unternehmer/in ein gutes Geschäft aufbauen und entwickeln kann?

  1. Markt - MÜSSEN: Was braucht die Welt? Was sind tiefer liegende Kundenbedürfnisse aber auch Notwendigkeiten im übergeordneten Sinn (gesellschaftlich, ökologisch, technologisch...), die für unser Geschäft handlungsleitend sind? Welche Probleme auf der Welt (= Zustand, den man nicht ignorieren kann) wollen wir lösen?
  2. Identität - SEIN: Wer bin ich? Wer sind wir? Was macht uns aus? Welche spezifischen Qualitäten, Kompetenzen und Fähigkeiten haben wir, die uns ausmachen?
  3. Ambition - WOLLEN: Was sind unsere echten Werte, Leidenschaften und Prinzipien? Was wollen wir auf der Welt bewirken? Wofür sind wir bereit zu kämpfen?
  4. Mitstreiter - WER: "Get the right people on the bus, first." (Jim Collins) Wer hat "Bock" auf das, was wir tun? Wer will den Weg gemeinsam mit uns gehen? Wer geht mit unserem Geschäft in Resonanz?
  5. Produkte - WAS, WIE: Welche konkreten Produkte und Leistungen wollen wir anbieten, mit denen sich (gutes) Geld verdienen lässt, die unserer Unternehmensphilosophie entsprechen und die einen messbaren Beitrag zur Problemlösung (im engeren und weiteren Sinne) auf der Welt leisten?

Ist doch eigentlich ganz einfach, nicht?
These 3: Gute Geschäfte aufzubauen ist einfach. Man muss nur die Muster dahinter verstehen und vor allem konsequent danach handeln. Das erfordert eine entsprechende Geistes-Haltung.

Ich werde das Thema "Good Business" in den nächsten Wochen noch etwas weiter beleuchten. Freue mich schon auf den kritisch-konstruktiven Austausch!
Stefan Hagen

November 22, 2019No Comments

Wer moralisiert, kann nicht verstehen.

Um Missverständnisse von Beginn an zu vermeiden: Ohne Moral kann gesellschaftliches Zusammenleben nicht funktionieren. Denn in Sozialsystemen wird durch Werte, Normen und Prinzipien definiert, welches Verhalten wertgeschätzt bzw. verurteilt wird. ABER: Wer komplexe soziale Systeme (wie z.B. Unternehmen) besser verstehen möchte, darf nicht moralisieren.

Das Problem mit der Moral.

Die Forderung nach moralischem, werteorientiertem Handeln ist allgegenwärtig: Politiker/innen, Unternehmer/innen, Führungskräfte und Menschen im Allgemeinen sollen sich endlich anständig benehmen und das Richtige tun. So kann's doch nicht weiter gehen!
Solche Forderungen sind moralisierend. Die Intention fühlt sich bei demjenigen, der sie propagiert, gut an. Aber in der Regel ändert sich nichts am kritisierten (System)Zustand. Warum?

  • Gefühle vs. Verstand: Hinter Moral stehen Werte. Werte sind Gefühle, die sich beim Handeln einstehen. Wenn persönliche Werte verletzt werden, regt sich Emotion. Das Problem: Wer emotional ist, kann nicht mehr klar denken oder verstehen.
  • Mensch vs. System: Nur Menschen können moralisch denken und handeln. Im Unterschied dazu haben Sozialsysteme kein Bewusstsein. Das Funktionieren von Systemen wird durch formale Strukturen und Rahmenbedingungen bestimmt. Hier ist auch der Ansatzpunkt, wenn man Sozialsysteme verändern möchte. Kultur folgt der Struktur.
  • Fühlen vs. Funktionieren: Das Menschsein macht u.a. aus, dass wir denken und fühlen und so Einfluss auf die Welt nehmen können. Sozialsysteme hingegen bestehen aus der Kommunikation von Entscheidungen. Das Funktionieren von Systemen macht aus, dass Entscheidungen getroffen werden, welche die Fortsetzung des Systems ermöglichen.

Wahrheit ist Produktivkraft.

Wenn wir Zustände in Organisationen verändern wollen, müssen wir das Funktionieren von Systemen (besser) verstehen lernen. Moral und Gefühle sind hier in einem ersten Schritt hinderlich, denn sie behindern beim Denken.
Es gilt, bessere Erkenntnisse über die Zustände im jeweiligen System zu generieren (= Geist, Verstand), um in einem zweiten Schritt mit Leidenschaft und Emotion für die Veränderung einzutreten (= Haltung, Mut). Nur wenn man Bewusstsein für die Unterscheidung entwickelt, kann man die Polaritäten nützlich koppeln und integrieren.

Unterscheide, ohne zu trennen.

Wir müssen lernen, in Widersprüchen zu denken und diese zu nutzen. Dieses dialektische Denken ist den meisten Menschen fremd, weil wir in einer industriell geprägten Welt zu einseitigen Denkern trainiert wurden. Deshalb sind u.a. auch folgende Aussprüche so häufig anzutreffen:

  • "Wie machen wir das jetzt konkret?"
  • "Was ist richtig?"
  • "Was müssen wir tun?"

All diese Frage können in einfachen oder komplizierten Situationen gestellt und richtig beantwortet werden, weil diese Problemanteile mit WISSEN gelöst werden können. Je komplexer und dynamischer der Kontext aber ist, umso entscheidender ist das KÖNNEN. Denn komplexe Situationen sind auch immer widersprüchlich, unklar und erzeugen Verunsicherung, weil das Problem nicht mit reinem Wissen gelöst werden kann und/oder das Wissen fehlt.
Dialektisches Denken und Handeln bedeutet u.a., sich der Komplexität durch gute Beobachtung bewusst zu werden, die Muster komplexer Systeme besser verstehen zu lernen, mutig zu entscheiden und zu handeln und dann Erkenntnisse zu generieren, wie sich dieses Denken und Handeln ausgewirkt hat.

Zuerst (besser) verstehen, dann entscheiden und handeln.

Wer in komplexen Kontexten moralisiert, kann nicht verstehen. Genau dies passiert uns aber immer häufiger, auch bedingt durch unsere neue Medienwelt. Stimmungen sind gereizt, aufgeheizt und explosiv - wir suchen vor allem bei MENSCHEN die Lösung für unsere Probleme. Natürlich hat menschliches Verhalten die meisten der großen und kleinen Krisen unserer Zeit herbei geführt - hier liegt aber in der Regel nicht die Lösung für die Probleme.
Vielmehr müssen wir hinterfragen, welche Strukturen und Muster menschliches Verhalten prägen und beeinflussen? Das sind die SYSTEME, in denen sich unser gesamtes Leben abspielt.
In der richtigen Kopplung von System <> Mensch, Funktion <> Emotion oder Geist <> Haltung liegt die Lösung für die komplexen Probleme unserer Zeit. Nicht entweder-oder, sondern sowohl-als-auch.
Stefan Hagen
 
 

April 2, 2017No Comments

Unser Beratungsansatz: VIABLE ORGANIZATION – 5 Schritte zu mehr Lebendigkeit.

Unternehmen müssen heute gut aufgestellt sein, um erfolgreich zu sein. Das ist soweit nichts Neues. Neu ist jedoch das zunehmend dynamische Umfeld (VUCA), in dem Unternehmen agieren. Dynamik und der damit verbundene Innovations- und Wettbewerbsdruck werden in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Darauf sollten wir uns vorbereiten. Dabei haben wir die Wahl: Wollen wir über den Wandel klagen oder ihn als Chance begreifen?
Seit 2001 begleiten wir Organisationen in strategischen, strukturellen und kulturellen Entwicklungsprozessen. Dabei steht eine Frage im Zentrum: "Wie kann unsere Organisation noch besser funktionieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben?" Kurz gesagt geht es um die Lebensfähigkeit von Organisationen, um nichts Anderes.
Unser Beratungsansatz basiert auf einem systemischen Grundverständnis von Organisationen. Wir verstehen Organisationen als komplexe, sozio-technische Systeme. Wir versuchen tagtäglich, einen Beitrag zu leisten, damit sich Unternehmen hin zu mehr Agilität, Anpassungsfähigkeit, Lebendigkeit und schlussendlich mehr Erfolg entwickeln können.
In diesem Beitrag gehen wir auf 5 Handlungsfelder ein, die analysiert und gestaltet werden sollten, um Organisationen nachhaltig zu entwickeln. Read more

Dezember 26, 2010No Comments

Kann man ein Unternehmen betrachten wie ein soziales Gehirn?

Das, was Prof. Dr. Peter Kruse da beschreibt, halten wir in Bezug auf die Entwicklung von Organisationen für hoch relevant: